Kaffee ist nicht gleich Kaffee. Davon ist rasch überzeugt, wer Shem Leupin an seinem Arbeitsplatz beim Zürcher Kaffeeröster Stoll besucht. Leupin ist frischgebackener Barista-Schweizer-Meister, im Mai vertritt er die Schweiz im Kaffeezubereiten an der Weltmeisterschaft in Australien. In der Lagerhalle im obersten Stock eines Bürohauses in Wiedikon stehen sackweise Bohnen, im Hintergrund rattert eine riesige Röstmaschine, der ganze Lagerraum riecht nach frischem Kaffee.
Leupin bereitet Filterkaffee zu, zermahlt die Bohnen in einer kleinen Mahlmaschine, stellt die Stoppuhr. Genau vier Minuten. Der alteingesessene Kaffeeröster Stoll hat den jungen Barista Leupin als Botschafter für das junge, städtische Publikum in den Betrieb geholt. Denn selten einer kennt sich so gut aus mit der braunen Brühe wie Leupin, der Weltenbummler und selbsternannte Kaffee-Nerd. Der 31-Jährige möchte in Zürich hochwertigen Kaffee etablieren, sagt er. Zeit also, etwas genauer nachzufragen.
Herr Leupin, wo trinken Sie in Zürich Kaffee?
Es gibt nicht besonders viele Orte. Sicher aber in der Sportbar, wo ich einst auch gearbeitet habe, im Café Lang, im Henrici im Niederdorf oder im Café Grande am Limmatquai.
Nicht besonders viele Lokale, bedenkt man die Café-Dichte in Zürich.
Guter Kaffee wird hier noch zu wenig geschätzt. Viele Leute leben noch immer gut mit dem Expresso oder dem Café crème. Das ist schade. Kaffee hat einiges mehr zu bieten. Mein Job ist es, den Leuten die vielen Facetten des Kaffees schmackhaft zu machen.
Was unterscheidet einen guten Kaffee von einem schlechten?
Ich empfehle stets, lokale Produkte zu konsumieren. Kaffee also, der in der Schweiz geröstet wurde. Denn die Bohnen verlieren nach dem Rösten bald schon an Aroma. Ein guter Kaffee aber besitzt ein volles Aroma: Süsse, Säure und Bitterkeit halten sich die Waage. Man spricht von einem guten Mundgefühl.
Was halten Sie von den Nespresso-Kapseln?
Ich bin kein Fan von Massenanfertigungen. Trotzdem: Der Kapselkaffee schmeckt in der Regel besser als jener, den man in vielen hiesigen Gastrobetrieben aufgetischt bekommt.
Wie erklären Sie sich das Defizit in den Cafés?
Es gibt zu wenig Leute, die sich mit Kaffee auskennen. Man schenkt dem Kaffee zu wenig Aufmerksamkeit, sowohl von Anbieter- wie auch von Konsumentenseite her. Zum Wein äussern sich stets alle in einer Runde. Zum Espresso fast niemand, dabei ist der Kaffee genauso komplex, was den Geschmack angeht. Eine Wissenschaft.
Ein Kaffee kostet halt auch vier Franken, ein Glas Wein mindestens das Doppelte.
Das stimmt. Meiner Meinung nach dürfte Kaffee teurer sein. Der Produktionsweg und das Know-how im Hintergrund sind immens. Doch bezahlen möchte selten jemand mehr als 4.50 Franken. Kaffee ist noch immer so was wie ein Gebrauchsgegenstand, kein Genussmittel. Der Preis ist fast nie abhängig von der Qualität.
Was schwebt Ihnen mit den Zürcher Betrieben vor?
Das Niveau kann gesteigert werden. Um das zu erreichen, braucht es sehr viele Pröbeleien. In Sydney, wo ich einst in einer Bar gearbeitet habe, durfte ich den Kaffee erst nach acht Monaten für die Gäste zubereiten. Ich habe selbst in meiner Freizeit geübt. Heute, glaube ich, gelingt es mir ganz gut.
Was mussten Sie an der Schweizer Meisterschaft für Disziplinen bestehen?
Ich musste vier Espressi, vier Cappuccini und vier Eigenkreationen anfertigen. Alles natürlich unter Aufsicht eines Expertenteams, das man während des Wettkampfs durchwegs mit Informationen füttern muss. Ziemlich anstrengend (lacht). Ich hoffe, mir gelingt das auch im Mai in Melbourne.
Wie sieht Ihre persönliche Zukunft aus?
Irgendwann arbeite ich vielleicht auf einer Plantage in Südamerika, wo ich den Anbau selbst steuern kann. Es gibt viele Faktoren, die einen guten Kaffee zu einem guten Kaffee machen.
Was möchten Sie den hiesigen Betrieben mit auf den Weg geben?
Lernen Sie den komplexen Geschmack des Kaffees zu schätzen. Pröbeln Sie, um ein hohes Niveau zu erreichen!